Professionelle Integration von Eltern und jugendlichen Schülern in ergänzenden polytechnischen Ausbildungszweigen zur Erzielung einer allgemein größeren Bildungsbreite und –tiefe an deutschen Schulen.
Deutschlands Eltern und Schüler, aber auch viele Schulleiter und Lehrer, Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretungen und andere Stakeholder des deutschen Bildungswesens erwarten dringend aus ihren unterschiedlichen Interessenlagen heraus eine grundlegende Bildungsoffensive, die das deutsche Bildungssystem endlich wieder in eine angemessene Position im weltweiten Ranking katapultieren kann; die die engstirnige Bildungs-Kleinstaaterei hinter sich lässt, aber dennoch den Föderalismus stärkt und die Demokratie stabilisierende Gewaltenteilung ausbaut, um die intrinsischen Kräfte von Schülern, Eltern und innovativen LehrerInnen maximal freizusetzen. Dann kann auch endlich die über 300-jährige Schulpflicht ins Schulmuseum umziehen!
Vorbei scheinen die Zeiten, in denen andere Länder in deutschen Bildungseinrichtungen noch einen Vorbildcharakter erkannten, wie z.B. in der im Ausland viel beachteten dualen Berufsausbildung. Verschiedene Erhebungen unter Eltern, wie auch die JAKO-O-Bildungsstudie von 2014 mit über 3.000 befragten Eltern in Deutschland belegen vielmehr die große Unzufriedenheit der Eltern mit zu früher Aufspaltung der Schülerschaft in die verschiedenen Abteilungen der hierarchisch gegliederten Schulsysteme der Länder und deren zu wenig harmonisierten Bildungsangeboten, die oftmals die Schullaufbahn bei einem Umzug, von einem Bundesland zu einem anderen, deutlich beeinträchtigen können.
Beanstandet werden die rigide Selektionspolitik an deutschen Schulen und die mangelnde Chancengleichheit, die die divergierenden sozialen Herkunftsfaktoren hartnäckig reproduzieren. Oder um es mit Prof. John Hattie, einem der renommiertesten Bildungsforscher weltweit, auszudrücken: „Deutschland hat das ungerechteste Schulsystem, das ich kenne“. In einem Interview mit dem „Spiegel“ bezeichnet er die frühe Aufteilung der Kinder in verschiedene Schulformen als „ineffizient und gesellschaftlich schädlich“. Stattdessen plädiert er für längeres gemeinsames Lernen, mehr Chancengerechtigkeit und eine neue, kritischere Sichtweise auf die Rolle der Lehrkräfte und deren Ausbildungsqualifikationen. Sein Fazit: Ohne mutige Reformen bleibt das deutsche Bildungssystem in der Sackgasse.
Deutsches Bildungssystem in der Sackgasse?
Aufgrund der enormen Bedeutung der Bildungspolitik für weite Teile der Bevölkerung überschlagen sich die politischen Parteien in ihren sich gegenseitig übertrumpfenden Wahlkampf-Versprechungen. Letztlich kleben aber die Parteien des mittleren und rechten Spektrums an normativ-konservativen Positionen und wären wohl schon zufriedener, wenn endlich die Schüler wieder einigermaßen lesen und schreiben könnten, sowie die vier Grundrechenarten halbwegs auf die Reihe brächten.
Das drei-gliedrige Schulsystem aber und die dahinter aufgeblähten 16 Kultusbürokratien sollen bloß nicht angetastet werden. – Warum? Weil es auf der irrigen Annahme beruht, dass homogene Klassen das Lernen erleichtern, und Schulpflicht ohne nahe Schulaufsicht im Nacken nur schlecht funktioniere.
Doch Prof. Hattie widerspricht vehement: „Diese frühzeitige Trennung ist nicht im Interesse der Schülerinnen und Schüler. Einige Kinder brauchen eine zweite, dritte oder vierte Chance, um Dinge besser zu verstehen, und zwar über die Grundschulzeit hinaus.“ Und Vielfalt schmählert nicht, sondern fördert den Bildungserfolg, weshalb sich das immer wieder ins Feld geführte „Migrationsargument für den Schulnotstand“ als Humbuck und Ausrede für jahrzehntelange Investitionsverweigerung der jeweiligen Regierungspateien entpuppt.
Aber immer weiter fließen die neuen Investitionen eher in Silizium als in Studiengänge, in Verkabelung statt in kleine Klassen, in Monitore statt in Menschen.
Prof. John Hattie, Director des Melbourne Education Research Institute an der University of Melbourne, Australien.
BSW-Unterstützer wünschen sich grundlegende Reformen von „ihrer“ Partei
Wir wurden von einem dem BSW nahe stehenden Arbeitskreis eingeladen, unsere Positionen für eine mutige Bildungspolitik gerade auch mit Blick auf unsere verfassungsrechtliche Expertise zusammenzufassen und für den programmatischen Diskurs des BSW bereit zu stellen. Dem sind wir mit diesem Artikel und nachfolgender Einschätzung gerne nachgekommen, ohne unsere parteipolitische Neutralität aufzugeben. Im Gegenteil: Wir wollen möglichst viele Menschen und Stakeholder des deutschen Bildungssystems und natürlich auch die unterschiedlichsten Parteien, Parlamentarier aus Bund und Ländern etc. für unsere Ideen gewinnen, damit eine wirklich breite Bildungsoffensive und -Bewegung entstehen kann!
Deutsche verfassungsrechtliche Besonderheit: Vorrang des Elternrechts bei Pflege und Erziehung gegenüber staatlichem Schulrecht!
Das deutsche Verfassungsrecht weist im Grundgesetz (GG) eine zentrale und international beispiellose Besonderheit auf, was den Verfassungsrang der Eltern angeht: Nämlich der Vorrang der Eltern bei Pflege und Erziehung (nach Art. 6 Abs. 2 GG) gegenüber der staatlichen Schulpolitik, aber auch gegenüber dem Einfluss der Konfessionen auf die Schule. In der Realität steht aber dem individuellen Elternpaar oder Alleinerziehendem unter anderem die gesamte Schulbürokratie gegenüber, die diesen elterlichen „Verfassungsvorrang“ schnell im Vorschriften-Dickicht ersticken kann.
Und nicht nur das:
Das E. (Elternrecht) in Art. 6 Abs. 2 GG ist in seinem heutigen Verständnis auf das hergebrachte Spannungsverhältnis zwischen der elterlichen Freiheit und dem hoheitlichen Eingriff abgestellt. In der Wirklichkeit einer offenen Gesellschaft müssen sich die Eltern gegen eine unabsehbare und unkontrollierbare Menge unerbetener Miterzieher mit ihren Kommunikations-, Informations-, Unterhaltungs- und Konsumofferten behaupten, und das unter der schwierigen Bedingung der beruflichen Beanspruchung beider Elternteile, mit der sich die Zeit für die Kinder verknappt. Auf der anderen Seite wird die „amateurhafte“ elterliche Erziehung delegitimiert durch den Trend zur Verwissenschaftlichung.“
Staatsbürgerliches Online-Lexikon
Hier setzt unser Konzept an, mit dem wir die Schüler- und Elternrechte gegenüber dem staatlichen Schulrecht so weit stärken wollen, dass die Parität zwischen Schülern und Eltern, einerseits, und dem Staat, andererseits, endlich hergestellt werden kann.
Wie hat sich das heutige Verfassungsrecht historisch ausgebildet?
- Am 28. September 1717 verordnet Friedrich Wilhelm I. „allergnaedigst und ernstlich“ die Schulpflicht für seine Länder. Damit einhergehend wurde Schulgeld erhoben, den Kindern oft lange und beschwerliche Schulwege aufgezwungen und den darbenden Familien lebensnotwendige Arbeits- und Erwerbskraft in Form von Kinderarbeit entzogen. In der Schule wurden die Kinder mithilfe von systematischem Zwang, Prügelstrafen und Zensuren-Selektion in Sekundärtugenden getrimmt, die den herrschenden Ständen für die Ausbeutung in den Fabriken und den Kadavergehorsam auf dem Kasernenhof, später dann auf dem Schlachtfeld, als opportun erschienen. In offiziellen Betrachtungen wird die Schulpflicht gerne als „Fortschritt“ verbrämt, weil sie angeblich die Kinder vor der Ausbeutung ihrer Eltern bewahrt habe. Tatsächlich war Kinderarbeit im Nachkriegs-Deutschland aufgrund der wirtschaftlichen Notlage vieler Familien weit verbreitet bis sogar in die 1980er Jahre hinein – nur halt nach der Schule!
- Obwohl Elternrechte bereits in der Nationalversammlung 1848 zum Beispiel von dem Abgeordneten Wilhelm Emmanuel von Ketteler gefordert wurden, um das ganze Unterrichtswesen der Verstaatlichung zu entziehen, bleibt die alleinige Hoheit über das Schulwesen bis heute in der Hand des Staates.
- Umso leichter fiel es den Nationalsozialisten, sofort nach ihrer Machtergreifung 1933 das Schulsystem zu kapern und für ihre Indoktrination zu nutzen.
- Unter diesem Eindruck hat die verfassungsgebende Versammlung 1949 zwar das „natürliche“ Elternrecht im GG, Artikel 6, implementiert, um dann aber mit Artikel 7 jegliche Eltern- oder Schülerrechte über die Schulen gleich wieder zu kassieren. Sogenannte Elternbeiräte und Schülervertretungen fungieren bis heute lediglich als stimmlose Feigenblätter eines durch und durch preußisch-autokratischen Schulwesens. Ein Recht auf Bildung kennt das GG bis heute nicht, wie es in der entsprechenden UNO-Charta 1948, also ein Jahr vor Verabschiedung des GG, gefordert wurde. Stattdessen wird an der Schulpflicht bis heute unverrückbar festgehalten.
- Verfassungsrechtlich wird stattdessen das „Recht auf Bildung“ in „allgemeine Schulpflicht“ umgedeutet (lediglich die Länderparlamente haben das Recht auf Bildung nach und nach in ihren Länderverfassungen aufgenommen); die soziale Selektion innerhalb des hierarchischen Schulsystems wurde damit gerechtfertigt, dass der Staat „sich von jeder Bewirtschaftung des Begabungspotentials“ freizuhalten (BVerfGE 34, 184 f.) habe. Das Schulwesen müsse deshalb „hinreichend gegliedert sein, damit das elterliche Wahlrecht überhaupt effektiv greifen kann“.
- Die Schulhoheit sei „ein Komplementär*- und Gegenprinzip zum privaten Elternrecht“, das den „gesellschaftlichen Pluralismus“ repräsentiere.
Unser Bildungskonzept unter Berücksichtigung und Nutzung der Rahmenbedingungen des Grundgesetzes
7. „Zwischen den antinomischen Verfassungsnormen von Elternrecht und Schulrecht ist nunmehr verfassungsrechtlich praktische Konkordanz gefordert. Wie diese ausfallen soll, ist jedoch streitig. Es ist ferner ein Gebot des GG, dass die Spannung zwischen Elternrecht und staatlicher Schulhoheit nicht einseitig aufgelöst werden darf“ (aus Staatsbürgerliches Online-Lexikon).
In diese Lücke oder Spannungsfeld zielt strukturell unser Konzeptvorschlag zur Professionalisierung und Demokratisierung des Bildungssystems, den wir in 11 Punkte gegliedert haben:
- Es werden Elternakademien gebildet, um die Elternkompetenzen in Bildungs- und Erziehungsfragen allgemein zu heben und die pädagogischen Voraussetzungen für Punkt II. zu erlangen;
- In freiwilligen, von den Eltern und Schülern selbst verwalteten Nachmittagsschulen wird ein breites altersunabhängiges polytechnisches Programm angeboten, das von unter Punkt I ausgebildeten Elternvertretern gecoacht wird – mit Unterstützung von entsprechenden Experten. Eltern können so ihr spezifisches berufliches Fachwissen weitergeben;
- Die Arbeitgeber und Arbeitnehmervertreter (Gewerkschaften) der Region sind mit ihren Nachwuchs-Beschäftigungsanliegen in die Planungen und Durchführung der polytechnischen Nachmittagsschulen einzubinden. Die Arbeitgeber haben ggf. Arbeitnehmer für die Wahrnehmung von Aufgaben im Rahmen der Punkte I und II freizustellen; eine Verdienstkompensation für derartige Aufgaben ist unter Beteiligung der ArbeitgeberInnen vorzusehen.
- Die Eltern bilden schulübergreifend Elternräte auf Kreis-, Landes- und Bundesebene. Gleiches gilt für jugendliche und erwachsene Schüler, die Schülerräte auf Kreis-, Landes- und Bundesebene bilden. Beide Rätegruppen verkörpern zusammen Schüler/Elternparlamente auf den verschiedenen Ebenen, wobei die Elternräte im Verhältnis 1:3 zu den Schülerräten Sitz und Stimmen in diesen Schulparlamenten einnehmen sollten. Soweit Nichteltern und Nichtschüler wesentlich die Nachmittagsschulen mitgestalten, sind diese ebf. angemessen an den parlamentarischen Aussprachen und Abstimmungen zu beteiligen.
- Die regulären Schulen werden aus der föderalen Verantwortung genommen und an ein zu bildendes Bundeskulturministerium überstellt. Die Lerninhalte der regulären Schulen werden grundlegend reformiert und entschlackt.
- Die mit weniger Aufgaben verbleibenden Kultusministerien der Länder organisieren im Auftrag der Elternräte bundesweit arbeitsteilig Elternakademien und die Nachmittagsschulen, soweit bestimmte Abteilungen nicht das Bundeskultusministerium als regionale Außenstellen unterstützen; die für das Nachmittagsschulwesen zuständigen Leiter der Länderschulbehörden (bisherige Landeskultusministerien) werden von den jeweiligen Landesschüler- und Elternprlamenten gewählt und auf deren Vorschlag durch den/die jeweiligen Ministerpräsidenten/in ernannt. Die Kultusministerkonferenz wird unter Maßgabe dieser neuen Bestimmungen fortgeführt; interimsmäßig wählt diese einen Vorsitzenden als Ansprechpartner der Bundesregierung bzw. des Bundeskultusministeriums.
- Die Kultusministerkonferenz entscheidet zusammen mit dem Bundeskultusminister über alle schul- und länderübergreifenden Fragen. Beide Instanzen kontrollieren sich gegenseitig in allen Belangen des allgemeinen Schulrechts und der polytechnischen Nachmittagsschulen (eweitertes Elternrecht).
- Laut Art. 6 GG sind die jeweiligen Eltern treuhänderisch schon heute für die Pflege und Erziehung ihrer Kinder zuständig, bis diese Verantwortung nach und nach in deren eigene Verantwortung übergeht. Hierüber wacht der Staat bislang i.d.R. durch die Jugendämter. Diese Überwachungsfunktion soll zukünftig von den Schüler-/Elternparlamenten und deren einzurichtenden exekutiven Behörden der Landeskultusbehörden wahrgenommen werden. Besondere Überwachungsrechte werden hierzu den „Fraktionen der Schülerräte“ eingeräumt.
- Ferner sollte(n) ein Bundes- und jeweils ein Landes-Kinderrechtsbeauftragter durch die jeweiligen Schüler-/Elternparlamente gewählt werden, an die und deren Vertreter sich Kinder wie Eltern in Konfliktfällen und mit anderen schulischen Anliegen wenden können. Die Kinderrechtsbeauftragten stehen damit den Behörden vor, die über die Pflege und Erziehung der Kinder durch deren Eltern wachen. Diese Behörden ersetzen die heutigen Jugendämter und helfen ggf. Eltern z.B. bei Auffälligkeiten von Kindern, um diese psychologisch und bei der Reintegrierung in Schule und Nachmittagsschule zu unterstützen.
- Die staatlichen Regelschulen sind vollständig zu säkularisieren. Konfessionelle bzw. Ethikunterrichtseinheiten bieten die polytechnischen Nachmittagsschulen in Zusammenarbeit mit den Konfessionen an.
- Die Gründung von Privatschulen sollte erleichtert werden. Deren Zulassung und Betreiben werden von den aufsichtführenden Behörden der staatlichen Schulen (Bundeskultusministerium) und den ensprechenden Landesbehörden der ergänzenden polytechnischen Schulen überwacht. Eine ergänzende polytechnische Elternschule muss von den privaten Trägern analog angeboten und vorgehalten werden.
Fortführung der programmatischen Erarbeitung
Diese vorgelegte Arbeit, die laufend erweitert und ggf. überarbeitet wird, ist nur der Anfang einer breiten programmatischen Ausrichtung, die auch zusammen mit externen Experten und Interessierten fortgeführt werden soll. Nach der Einordnung der verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen und deren strukturelle Transformation in eine weiter entwickelte Gewaltenteilung zwischen Bund und Ländern, Eltern und staatlichen Schulstrukturen, Eltern und Schülern etc., werden wir den Fokus in Kürze auf die folgenden inhaltlichen Bildungsfelder richten:
- Wohin mit all dem Wissen, dessen beschleunigter Zunahme und kürzeren Halbwertzeit? – Weg von Wissensreproduktion, hin zu Lösungsorientiertheit; Kreativität und wissenschaftliche Methodenlehre.
- Gymnasium abschaffen? – Die Schule ist nicht für die Eltern da, sondern für die Kinder (Prof. Hattie).
- Wie organisieren die Superreichen die Erziehung ihres Nachwuchses? – Internatsschule Salem: Jeder muss mitkommen! Koste es, was es wolle …
- Inhalte der polytechnischen Ausbuldung der Nachmittagsschulen
- Um welche sozialwissenschaftlichen, ökonomischen und politischen Kenntnisse das Schulrepotoir erweitern? Welche Aspekte des Kosmos und des Anthropozäns sollten obligatorisch zur modernen Schulbildung? Welche Fächer (dafür) wenigstens reduzieren oder gar streichen?
- Medienkunde