Albert Speer berichtet über die Politisierung der TU Berlin in 1931: „Unsere Technische Hochschule war inzwischen zu einem Zentrum nationalsozialistischer Bestrebungen geworden. Während die kleine Gruppe kommunistischer Architektur-Studenten vom Seminar Professor Poelzigs angezogen wurde, sammelten sich die nationalsozialistischen bei Tessenow, obwohl dieser (laut Speer) ein erklärter Feind der Hitler-Bewegung war…“ . Weiter berichtet Speer über seinen von ihm bewunderten Lehrer: „Es gab jedoch unausgesprochen und unbeabsichtigt Parallelen zwischen seinen Lehren und der Ideologie der Nationalsozialisten“.
Ob wahrheisgetreu oder einfach zur Selbstentlastung (Speer sah sich ja selbst als unpolitisch und Verführter der Nazis an) mutmaßte er über seinen Lehrer: „Sicherlich war sich Tessenow dieser Parallelen nicht bewußt. Ihn hätte der Gedanke an eine Verwandtschaft zwischen seinen Vorstellungen und nationalsozialistischen Auffassungen zweifellos entsetzt„. Zitiert nach Werner Durth, „Deutsche Architekten, Biographische Verpflechtungen 1900 – 1970“, S. 59.
Dieses „Entsetzen“ muss sich in Grenzen gehalten haben. Denn Tessenow galt als Patriot und vertrat die Meinung, daß die Kunst aus dem Volk erwachse (also volksdeutsch sei). Dieser Ansatz brachte ihn ideologisch schon sehr in die Nähe der Nationalsozialisten. „Etwa 1931 soll er, so Speer, vertreten haben: ‚Es wird wohl einer kommen müssen, der ganz einfach denkt. Das Denken ist heute zu kompliziert geworden. Ein ungebildeter Mann, gewissermaßen ein Bauer, würde alles viel leichter lösen, weil er eben noch unverdorben ist. Der hätte auch die Kraft, seine einfachen Gedanken zu verwirklichen.'“ (ebd., S. 60). – Weil die übergroße Mehrheit der Kleinbürger, Handwerker, Bauern und Selbständigen (im Gegensatz zu den Arbeitern, die 1933 fast geschlossen entweder für SPD oder KPD stimmten) so dachten und auf dererlei einfache Lösungen setzten, kam zwar kein Bauer, dafür aber der Gefreite Hitler 1933 an die Macht.