Der Historiker Reinhard Kühnl dokumentiert Adolf Hitlers tiefe Überzeugung von den alles bewegenden Gottbegnadeten in einer Rede vor führenden Industriellen am 20.Februar 1933, die „seine sozial-darwinistischen und antidemokratischen Positionen in drei knappen Sätzen“ zusammenfasste:
„Alles was in der Welt an Positivem, an Gutem und Wertvollen auf dem Gebiete der Wirtschaft und Kultur geschaffen worden ist, beruht ganz allein auf der Bedeutung der Persönlichkeit. Wird die Verteidigung des Geschaffenen einer Majorität überantwortet, so geht es rettungslos unter. Alle Lebensgüter, die wir besitzen, verdanken wir dem Kampfe von Auserlesenen …’“ (zitiert nach Reinhard Kühnl, „Der deutsche Faschismus in Quellen und Dokumenten“, 4. Auflage, Seite 201).
Weiter führte er, durchaus zum Gefallen der meisten anwesenden damaligen Wirtschaftsführer, aus: „Es ist auch nicht ein Spiel des Zufalls, dass der eine Mensch mehr leistet als der andere. In dieser Tatsache wurzelt der Begriff des Privateigentums…„, (ebd., S. 202), das deshalb Hitler heilig war. – Seinem Widerwillen gegen die Weimarer Republik ließ er freien Lauf – wobei die Ähnlichkeiten in der Argumentation zu den heutigen Neo-Nazis und sonstigen völkisch-reaktionären Populisten frappierend ist – wenn Hitler ausführt:
„Weimar hat uns eine bestimmte Verfassungsform aufoktroyiert, mit der man uns auf eine demokratische Basis gestellt hat. Damit ist uns aber keine leistungsfähige Regierungsgewalt beschert worden. Im Gegenteil, der Kommunismus musste sich nach dem, wie ich eingangs die Demokratie kritisiert habe, immer tiefer in das deutsche Volk hineinbohren.“ (ebd., S 202). Goering ergänzte anschließend: „Das erbetene (Spenden-) Opfer würde der Industrie sicherlich umso leichter fallen, wenn sie wüsste, dass die Wahl am 5.März die letzte …innerhalb 10 Jahren, voraussichtlich aber 100 Jahren sei.“ (ebd., S. 203).
Auch bei der Kunst verketzert der NS-Staat die Volkssouveränität, und mystifiziert stattdessen das deutsche Volkstum, das von „Auserwählten“ zur „Fleischwerdung der höchsten Werte eines Volkes“ entwickelt werden.
Für die Kultur setzte Hitler die Maxime, „dass ‚nur wenigen Gottbegnadeten (…) zu allen Zeiten die Vorsehung die Mission aufgegeben (hat), wirklich unsterblich Neues zu gestalten“ (Hitlers Rede auf der Kulturtagung des NSDAP-Parteitages 1933 in Nürnberg). Als „Fleischwerdung der höchsten Werte eines Volkes“ würden sie sich gegen Merkmale der Moderne, wie Aktualitätsbezug oder Experimentieren, also Diskursivität im weitesten Sinne, richten. Zitiert nach M. Haas, Die ,Gottbegnadeten-Liste‘ (BArch R 55/20252a), in: Eine Institution zw. Repräsentation u. Macht, Die Univ. f. Musik u. darstellende Kunst Wien im Kulturleben d. NS, 2014, S. 252.)
Für einen solchen „Auserlesenen“ haben Hitler und Goebbels Heinrich Tessenow, den Architekten des „Haus der Gemeinde“ in Steinhorst, befunden und ihn deshalb 1944 auf die Liste der 378 „gottbegnadeten“ Künstler aus den Bereichen bildende Kunst, Literatur, Musik Theaterschauspiel und Architektur setzen lassen – hinterlegt im Bundesarchiv-Lichterfelde (BArch R 55/20252a).
Keine späte Einsichten oder Reue – dafür Karrierefortsetzung bei den Realsozialisten
Bedauerlicherweise hat Tessenow auch nach dem Ende des 2. Weltkriegs zu dieser Auserwählung Hitlers nie Stellung bezogen.
K. Michael Hays schreibt zu Tessenows offensichtlicher stark ausgeprägten Anpassungsfähigkeit: „Er genoss … das allerhöchste Ansehen bei den wichtigeren Vertretern der romantisch-nationalen Strömungen und wurde von manchen Kritikern letzteren schon zu Lebenszeiten zugeordnet. … Nichtsdestotrotz besaß er bei den Russen hohes Ansehen. Sie gaben ihm wichtige Aufgaben in der Nachkriegsrekonstruktionsphase und wählten ihn zum Rektor der Technischen Universität Berlin.“ Zitiert aus K. Michael Hays: „Tessenow’s Architecture as National Allegory: Critique of Capitalism or Protofascism“, https://www.jstor.org/stable/3171017